Die Schlacht um den Gottestöter
Die Olyndar-Kriege: Der Aufstand. Teil 2. In der Unterzahl und umzingelt müssen Martus Eido und seine Kompanie den Gottestöter gegen einen weiteren unerbittlichen Angriff der Rifaëd verteidigen.

Burg Dûrhael, am Ostrand
Barakhael, 14. Tag von Nínhaelë, im Jahr 2625 des Sechsten Zeitalters
Wir erreichten Narthamûn-Hafen – die einzige Hafenstadt am Ostrand – ohne weitere Zwischenfälle.
Dort trafen wir auf den ursprünglichen Zug kurz vor dessen Abfahrt. Wir koppelten den Kastenwagen, der den Gottestöter transportierte, bei ihm an, sowie den Schlafwagen, in dem die vierzig Grenzwachen und zehn meiner noch lebenden Männer saßen. Dann schickten wir den Ersatzzug zurück nach Tor Nargaroth. Wir waren wieder im Zeitplan.
Aber wir mussten uns beeilen. Keine Zeit für einen Aufenthalt im Badehaus. Die neue Kompanie und meine Männer waren nicht begeistert, aber sie kannten ihre Pflicht. Beschwerden zählen nicht viel, wenn man die Abzeichen des Imperiums trägt.
Vor uns lag der längste Abschnitt der Reise: fünf Tage ohne einen einzigen Zwischenstopp. Die Wassertanks waren voll. Die Motoren waren heiß. Wir fuhren weiter, quer durch das Land der Rifaëd – die größte Provinz des Imperiums und bei weitem die am dünnsten besiedelte.
Die Carnathael-Einöde, wie sie genannt wurde, erstreckte sich zwischen den rot gezahnten Carnadûn-Bergen im Westen und den schwarzen Klippen von Ostrand. Ein riesiges, sonnenverbranntes Nirgendwo. Traditionell gehörte das Land dem Haus Rifaëd. Jenseits der Gipfel im Westen lagen das Königreich Kythar und das Meer von Mareneth – das Herzland von Ashavar, der Welt der Menschen, das größtenteils unter dem Banner von Caelivar stand.
Die bekannten Oasen in der Wüste waren schon lange von der Zivilisation beansprucht worden und wurden von imperialen Adligen regiert, die meistens aus dem Haus Ashkenar stammten. Diese Familie hatte mehr Herren als Land, also hatte der Kaiser Wüstenbesitz für ihre jüngeren Söhne und halb vergessenen Cousins geschaffen. Es waren keine glamourösen Posten, aber sie verliehen einen Titel und etwas, worüber man herrschen konnte.
Den Adligen der Rifaëd schien das nichts auszumachen. Über Generationen hinweg blieben sie in ihren verborgenen Oasen und lebten so, wie sie es immer getan hatten – ruhig, bescheiden und unberührt von der Außenwelt. Sie verehrten die alten Götter, aber sie hielten sich bedeckt.
Bis jetzt.
Jetzt war jemand unter ihnen aus dem Schatten getreten und hatte imperiale Fracht angegriffen. Das ist so ziemlich das Dümmste, was man innerhalb der Grenzen des Imperiums tun kann. Und ich konnte beim besten Willen nicht herausfinden, warum.
Die Rifaëd waren Jäger, ja. Händler. Viehzüchter. Keine Krieger. Keine Mörder. Sie hatten in der Vergangenheit durchaus Möglichkeiten zu einem Aufstand gehabt. Wenn sie Blut hätten vergießen wollen, hätten sie sich während der Amatharai-Kriege dem Königreich Kythar anschließen können. Die Kythari verehrten schließlich dieselben Götter. Aber die Rifaëd hatten nicht angebissen. Sie hatten sich rausgehalten. Sie waren neutral geblieben. Und friedlich.
Und jetzt? Eine Allianz mit Kythar war vom Tisch. Das Königreich stand nun auf unserer Seite. Seine Regierung führte sogar Gespräche über den Kauf von drei Gottestötern für ihr eigenes Militär. Kythars Religion war größtenteils erloschen. Sicher, sie ehrten die alten Götter noch, aber es war Tradition, kein Glaube. Heutzutage ähnelten ihre Tempel eher Museen.
Und dann gab es noch die Vereinigten Königreiche von Gômarien und Togarûn, zwei Tagesreisen östlich von Burg Dûrhael. Manche sagten, die Rifaëd hüteten in den Grenzgebieten dort, in den Kénoth-Höhen, geheime Oasen. Aber Elûn-Ra, der einzige Gott der Vereinigten Königreiche, war genauso eifersüchtig und engstirnig wie Shaddayn von Yasharoth. Er würde das farbenfrohe Pantheon der Rifaëd nicht dulden. Keine Chance. Wenn die Rifaëd versuchten, sich mit ihnen zu verbünden, wären sie gezwungen, sich vor einem fremden Gott zu verneigen und ihre eigenen zu verbrennen.
Was blieb also übrig?
Keine Verbündeten. Keine Unterstützung. Nur ein ruhiges Volk, allein in der Wüste, das plötzlich beschloss, sich zu erheben und das Imperium von innen heraus anzugreifen. Es ergab keinen Sinn. Und ich konnte nicht aufhören, darüber meinen Kopf zu zerbrechen.
Es war der Morgen von Gaervorë, der zweite Tag von Nínhaelë, als ich allein im Speisewagen saß und in aller Ruhe mein Frühstück verzehrte. Zwei weichgekochte Eier. Ein paar Streifen getrocknetes rotes Fleisch. Schwarzbrot, eine Handvoll Oliven, eine ordentlich geschnittene Orange. Tee, heiß und bitter.
Das imperiale Regelwerk für Offiziere war eindeutig: Hauptmänner sollten sich nicht zu sehr unter ihre Männer mischen. Man kämpfte an ihrer Seite, klar; man blutete mit ihnen, starb mit ihnen, wenn es darauf ankam. Aber außerhalb der Schlacht sollte es Distanz geben. Kommandierende Offiziere gehörten einer anderen Klasse an. Das war die rote Linie. Nähe führte zu Vertrautheit, und Vertrautheit, so glaubte das Oberkommando, führte zu Ungehorsam. Also saß ich nicht im hinteren Teil des Zuges mit meiner neuen Einheit. Ich war hier, allein, ein Essen erster Klasse vor mir, zweitklassige Gedanken in mir.
Draußen breitete sich die Wüste in einem Wirrwarr aus rotem Gestein und rostfarbenem Sand aus; die Landschaft träumte in Stille. Ich hatte meine Eier halb aufgegessen und war völlig in Gedanken versunken, als sich ein Schatten neben mich bewegte.
»Ist dieser Platz besetzt?«
Ihre Stimme war trocken und scharf, wie die von einer Person, die ein Leben lang anderen Leuten gesagt hat, was sie tun sollen – und von ihnen erwartet, dass sie zuhören. Ich schaute auf, als hätte mich jemand aus einem Traum gerissen.
Sie ragte empor und war nicht nur groß, sondern auch breitschultrig und beeindruckend, wie der Bug eines Schiffes. Ihr Gesicht war rund und tief gefurcht, faltig wie altes Pergament, das zerknittert, geglättet und wiederverwendet worden war. Ihre Augen leuchteten blau und strahlten ein Feuer aus, das den Anschein erweckte, dass sie bei weitem nicht so alt war, wie ihr Gesicht glauben machen wollte. Auf ihrem Kopf thronte ein lächerlicher Hut – nein, kein Hut, ein Schlachtschiff –, geschmückt mit Pfauenfedern, Satinbändern, Perlen und einer Feder aus künstlichen Farben; die Aufmachung schrie gleichermaßen nach Geld und Exzentrizität. Ihr schwarzes Reisekleid war von Rüschen und Blumenstickereien übersät, und um ihren Hals hingen genug Perlen, um ein ganzes Fürstentum aufzukaufen. Sie klimperte wie ein Glockenspiel, wenn sie sich bewegte.
Zweifellos eine Adlige vom Haus Ashkenar.
»Nein, Madam«, sagte ich und nickte höflich. »Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie sich des Platzes annehmen würden.«
»Warum?«, schnauzte sie und ließ sich auf den Stuhl sinken wie eine Göttin, die von den Höhen Olyndars herabsteigt.
Ich hätte fast gelacht. Sie war eindeutig nicht für höfische Nettigkeiten zu haben. Ich mochte sie jetzt schon.
»Nun«, sagte ich so trocken wie die Wüste draußen, »es ist nur eine Redewendung. Ich nehme an, ich werde erst wissen, ob es eine Ehre oder ein Fluch ist, wenn wir uns besser kennen.«
Ihr Lachen – scharf und plötzlich – durchschnitt die Stille im Wagen wie ein Säbel. Wenn sie wollte, dass jeder zuhörte, dann war sie erfolgreich. »Aber, aber. Wir wollen nichts überstürzen, Herr Hauptmann. Nicht einmal mein Ehemann kennt mich, und wir sind seit fünfzig Jahren verheiratet. Aber seien Sie versichert – es ist eine Ehre, unter allen Umständen. Ich bin die Gräfin von Kénoth.«
Kénoth, das sich über die Ausläufer der Kénoth-Höhen ausbreitete, war das Kronjuwel der Carnathael-Einöde. Die reichste Oasenstadt in der Provinz und wohl im ganzen Imperium. Graf Carandel und seine Frau Veloriel waren legendär. Wenn auch nicht immer aus den gleichen Gründen.
Die meisten der adligen Ashkenari, die ins Land Rifaëd gezogen waren, wollten nicht gerade die Welt erobern. Sie waren keine Träumer oder Ränkeschmiede. Sie suchten nach Komfort; ihnen reichten Sonnenschein, unterwürfige Diener und ein Platz, an dem niemand zu viele Fragen stellte. Aber Graf Carandel und seine Frau, die Gräfin Veloriel von Kénoth, waren aus einem anderen Holz geschnitzt.
Der Graf besaß keine Schiffe, keine Häfen und war nicht an der Kolonialmaschinerie des Imperiums beteiligt. Aber das hielt ihn nicht davon ab, eines Tages aufzuwachen und zu beschließen, dass er seine eigene Kolonie in der Zwergenwelt Ostharn errichten würde. Die Leute lachten, als er zum ersten Mal davon sprach. Sie sagten, er sei wahnhaft, trunken von der Hitze oder dem Sand oder beidem. Aber zehn Jahre später lachte niemand mehr.
Er war nur selten in Kénoth. Die Oase war für ihn eher eine Vorstellung von Zuhause als ein tatsächlicher Wohnsitz. Durch eine Mischung aus eisernem Willen und messerscharfer Gerissenheit gelang es ihm, den größten Teil von Uzdal – dem Kernland der zwergischen Holzverarbeitung – an sich zu reißen. Nicht mit Armeen oder durch Blutvergießen, sondern mit Verträgen, Charisma und dem Talent, Zwerge dazu zu bringen, das zu tun, was sie sich geschworen hatten, nicht zu tun.
Uzdal war für seinen Holzbau und seine Handwerkskunst berühmt. Carandel verwandelte dies in Gold. Er richtete eine Handelsroute von den Bergen von Uzdal bis zu den Hügeln von Kénoth ein, die sich durch die Hauptstadt von Gômarien und Togarûn schlängelte – Bysanthir, die glitzernde Hafenstadt am Iskandria-Fluss.
Es dauerte nicht lange, bis sich herumsprach: Jeder, der mit Graf Carandel Geschäfte machte, wurde reich. Ob Zwerge, Elfen, Imperialisten oder Gômari und Togarûni – es kam nicht darauf an. Gold wechselte fleißig den Besitzer, und er gewann fleißig Freunde. Rasse, Nation, Religion – all das war ihm egal. Was zählte, waren Gold, Waren und Möglichkeiten zum Handel. Und das machte ihn steinreich.
Zu Hause war Gräfin Veloriel auch nicht die Art von Person, die untätig blieb und mit einem Glas Wein in der Hand wartete, während ihr Mann durch Zwergenwälder und an fremden Höfen herumvagabundierte. Was auch immer er aus Uzdal nach Kénoth sandte, sie machte daraus etwas Größeres. Unter ihrer Hand verwandelte sich die Oasenstadt von einem staubigen Punkt in der Wüste in einen Edelstein, der vor unmöglicher Eleganz schimmerte; manche sagten, es sei jetzt der schönste Ort im ganzen Imperium. Sie holte Architekten, Künstler, Bildhauer und (natürlich) die besten Holzhandwerker Uzdals ins Land. Aber es ging nicht nur um Luxus und Ornamente. Sie schätzte Schönheit mit Sinn – mit Funktion, Haltbarkeit, Effizienz.
Sogar der Wein veränderte sich. Kénoth hatte einst einen Fusel produziert, der die Farbe von den Wänden ablösen konnte, aber seit Veloriels Herrschaft konnte er mit den alten Weinlesen der Velarûn-Inseln mithalten. Einige sagten, er übertreffe sie sogar.
Schon bald war Kénoth in Caelivarna, der Hauptstadt des Imperiums, in aller Munde. Adelige, die einst von Ferienhäusern am Amatharai-Fluss besessen waren, begannen, Rückzugsorte in den Kénoth-Höhen zu bauen. Und das nicht nur wegen des Reizes der Neuheit, sondern weil es zum Ort schlechthin geworden war.
Was die ganze Sache noch unglaublicher machte, war, wie schwer es war, dorthin zu gelangen. Kénoth war immer noch abgelegen, ein Fleckchen Grün mitten im Nirgendwo. Die Carnadûn-Berge und das Königreich Kythar machten eine Reise aus dem Westen nahezu unmöglich. Es gab keine direkte Eisenbahnverbindung von Caelivarna aus – nicht durch Kythar, das über eigene königliche Bahnlinien verfügte, und schon gar nicht durch die dahinter liegenden Berge, die zu steil, zu tief und zu gefährlich waren.
Im Süden, hinter den Kénoth-Höhen, lagen Gômarien und Togarûn, und sie waren dem Imperium nicht gerade freundlich gesinnt. Sie duldeten Carandels Handelsroute nur, weil er sie auch reich machte.
Die einzige vom Imperium genehmigte Route nach Kénoth war also der lange Umweg: von Caelivarna nach Tor Nargaroth am Ostrand im Norden, dann entlang der Klippen hinunter nach Burg Dûrhael im Südosten, und von dort aus eine sechstägige Kutschenfahrt durch die Einöde nach Westen. Und das alles nur, um eine Oase mitten im Nirgendwo zu erreichen. Nicht gerade ein Wochenendausflug.
Und doch kamen sie. Adlige. Wohlhabende Kaufleute. Generäle im Ruhestand mit Blut an den Stiefeln. Sie machten sich auf den Weg, nur um Kénoth zu sehen. Um seinen Wein zu kosten, in seinen Bädern zu plantschen und damit zu prahlen, dass sie dort gewesen waren. Einige Adelsfamilien machten es sich sogar zur Tradition, dort jedes Jahr zu überwintern.
Das war das Verdienst von Graf Carandel und Gräfin Veloriel. Sie waren nun älter, aber ihr Verstand war immer noch scharf und sie waren immer noch auf Trab. Allerdings kursierten bereits Gerüchte über die Nachfolge. Sie hatten keine Kinder. Dafür hatten sie nie genug Zeit gefunden. Sie waren zu sehr damit beschäftigt gewesen, ein Imperium aus dem Boden zu stampfen.
Man munkelte, dass es Carandel nicht im Geringsten interessierte, wer sein Vermögen erben würde. Dass er im Alter etwas seltsam geworden war und sich mehr für die Politik der Zwerge als für die des Imperiums interessierte. Einige behaupteten, er würde heimlich, still und leise daran arbeiten, Uzdal in ein eigenes, autonomes Holzbau-Imperium für die Zwerge zu verwandeln.
Aber Gräfin Veloriel? Sie kümmerte sich um ihre Nachfolge. Sehr sogar. Sie war fest entschlossen, das richtige Haus zu finden, dem sie Kénoth überlassen konnte. Jemanden, der bewahren würde, was sie aufgebaut hatte. Es war ein offenes Geheimnis, dass sie sich mit den reichsten und mächtigsten Männern in Caelivarna traf, um sicherzustellen, dass das nächste Kapitel von Kénoth in guten Händen sein würde.
Als sie sich mir vorstellte, hatte ich also eine ziemlich gutess Ahnung davon, woher sie kam. Sie war auf dem Heimweg von einem dieser Treffen in Caelivarna.
»Nun«, sagte ich und neigte meinen Kopf nur leicht, »es ist wirklich eine Ehre, der Gräfin von Kénoth gegenüberzusitzen.«
Ihre Augen funkelten mit etwas Scharfem; Humor vielleicht oder Herausforderung. »Sie wissen also, wer ich bin«, sagte sie und verzog die Lippen zu einem süffisanten Lächeln.
Ich nahm einen Schluck Tee und ließ die Wärme auf meiner Zunge wirken, bevor ich antwortete. »Wer weiß das nicht, Madam?«
Sie tippte mit dem Finger auf die Tischdecke. «Aber, aber, Herr Hauptmann, wie heißen Sie denn?«
»Martus Eido von Elenhir.«
Sie kniff die Augen einen Hauch zusammen, als würde sie einen unsichtbaren Katalog mit Namen und Gesichtern durchblättern. Dann lehnte sie sich mit dem ihr eigenen trockenen Tonfall zurück. »Ich fürchte, ich habe noch nie von Ihnen gehört.«
Das überraschte mich nicht.
Die Eido-Linie war voll von Kriegshelden, stolzen Männern, deren Namen in Militärbüchern verewigt waren; aber außerhalb von Kasernen und Militärakademien waren sie weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Männer der Weißen Garde kannten uns gut. Die Imperiale Armee im Allgemeinen auch. Aber darüber hinaus? Für die Handelsfürsten und Adligen der Gesellschaft waren wir nur ein weiterer verblasster Name aus längst vergessenen Kriegszeiten. Siebzig Jahre Frieden können so etwas bewirken. Heutzutage war es so, dass die Soldaten und der Rest des Imperiums genauso gut in verschiedenen Welten hätten leben können.
»Mein Vater befehligt die Grenzwache auf Burg Dûrhael«, fügte ich hinzu. »Vielleicht haben sich Ihre Wege schon einmal gekreuzt.«
Sie zuckte mit den Schultern und begann, die Serviette zwischen ihren Fingern zu falten. »Das glaube ich nicht. Die einzigen Militärs, die ich kenne, sind die Oasengarde von Kénoth. Da fällt mir ein … was war das denn für ein Angriff letztens? Als steuerzahlende Bürgerin des Imperiums habe ich wohl Anspruch auf eine angemessene Erklärung.«
Ich schenkte ihr mein, wie ich hoffte, entwaffnendstes Lächeln. »Verehrte Gräfin, eine Frau von Ihrem Rang hat Anspruch auf viele Dinge. Sie sind eine der prominentesten Persönlichkeiten des Imperiums. Ich würde Sie nie absichtlich im Dunkeln lassen. Aber leider betrifft dieser spezielle Angriff die nationale Sicherheit. Es geht um etwas, das der Kaiser selbst als geheim eingestuft hat. Mir sind die Hände gebunden. Ich darf keine Details preisgeben … aber ich kann Ihnen versichern, dass wir jetzt in Sicherheit sind.«
Sie schüttelte den Kopf, und die Perlen an ihrem Hals klimperten leise. »Aber, aber, Herr Hauptmann. Sie sind gut darin, Nichtiges als etwas Gewichtiges zu tarnen. Doch mit schönen Worten werden Sie mich nicht los.«
Sie holte gerade zu einem weiteren Schlag aus, als die Pfeife des Zuges die Stille wie ein Schuss durchschnitt. Mehrere Passagiere im Speisewagen schossen auf die Füße. Ein zweiter Pfiff folgte – länger, schriller –, dann ein dritter, der nicht endete. Die Bremsen zischten wie Schlangen unter dem Boden, und der ganze Wagen schauderte heftig, als der Zug zum Stehen kam. Teller klapperten, im Gang zerbrach eine Teetasse.
Irgendetwas lag auf den Gleisen.
Wir drehten uns beide zum Fenster. Ein Reiter galoppierte vorbei, so nah, dass wir den Staub auf seiner Robe erkennen konnten. Sein Kopf und sein Gesicht waren in Tücher gehüllt, ein langes Gewehr hing über seiner Schulter. Ein Rifaëd. Schon wieder.
Dann sah ich es. In der flirrenden Hitze am westlichen Horizont erstreckten sich dunkle Flecken über den Sand. Kein Flecken. Eine Linie. Eine Mauer.
Eine Armee von Rifaëd.
Tausende von ihnen. Reiter zu Pferd, Kamelreiter und andere, die auf Kreaturen saßen, die ich für ausgestorben gehalten hatte. Riesenechsen mit langen Hälsen, die wie lebende Belagerungstürme in der Hitze emporragten, gesattelt, gepanzert und bereit für den Krieg.
Die Rifaëd waren nicht nur zurückgekehrt. Ihre ganze Streitkraft war gekommen. Meiner Schätzung nach hatte sich dort am Horizont so ziemlich jeder kampffähige Kämpfer aus jeder verborgenen Oase der Rifaëd eingefunden. Ich hätte nicht damit gerechnet – nicht nach der blutigen, vernichtenden Niederlage, die sie erst vor wenigen Tagen erlitten hatten.
Abrupt richtete ich mich auf. »Verzeiht mir, Gräfin«, sagte ich mit ruhiger Stimme, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug. »Es scheint, als hätte ich imperiale Angelegenheiten zu erledigen.«
Und damit drehte ich mich auf dem Absatz um und eilte zum hinteren Teil des Zuges. Es war wieder an der Zeit, Ashmane zu satteln.
Ein paar Minuten später ritt ich mit zwei Männern an meiner Seite durch die brennend heiße Wüstenebene.
Zu meiner Rechten: Róvarion – erfahren, scharfsichtig und einer der wenigen, die den ersten Angriff der Rifaëd überlebt hatten. Ich vertraute ihm mit meinem Leben. Zu meiner Linken ritt Franethor, der Anführer der frischen Kompanie Grenzwachen. Jung, aber zäh. Er sah aus wie ein Mann, der noch nicht genug Schrecken gesehen hatte, um abgestumpft zu sein.
Wir ritten direkt auf die lange schwarze Reihe der Rifaëd-Reiter zu – eine Wand aus Staub und Stahl, die regungslos und still in der flimmernden Hitze dastand.
Ich wollte zuerst mit ihnen reden. Herausfinden, ob ihr Anführer auch nur einen Funken Vernunft in sich trug – einen Sinn, der über ihren religiösen Eifer hinausging. Wir hielten unsere Pferde auf halbem Weg zwischen dem Zug und der Rifaëd-Horde an. Sie hatten Steine über die Gleise gestapelt. Primitiv, aber effektiv. Die Wüste erstreckte sich endlos um uns herum, Hitzewellen tanzten wie Geister über den Sand. Die Sonne brannte gnadenlos und unbarmherzig. Es wehte kein Wind. Kein Geräusch außer dem leisen Knarren des Leders und dem Atem der Pferde unter uns.
»Wenn klar wird«, sagte ich leise, »dass sie nicht reden wollen … reißen wir so viele von ihnen mit in den Tod, wie wir können. Bevor sie unsere Fracht angreifen.«
Beide Männer nickten. Entschlossen. Bereit. Oder sie versuchten, so auszusehen. Aber ich sah die Angst in ihren Augen. Ich spürte sie in meiner eigenen Brust. Kalt und zusammengerollt wie eine Schlange, selbst in der Hitze.
Nicht in tausend Jahren hätte ich mir vorstellen können, dass ich auf dem Weg nach Burg Dûrhael einer Armee gegenüberstehen würde. Ich dachte an Chaíril. Würde sie bei Sonnenuntergang Witwe sein? Und die Kinder: Gaurion, Abíril, Esharûn, Aedhon, Ailinel, Elirion und die süße kleine Annariel. Würden sie ohne Vater aufwachsen? Bei dem Gedanken drehte sich mir der Magen um.
Ich hatte keine Angst vor dem Tod selbst. Nicht wirklich.
Natürlich gab es all diese Geschichten. Die alten Erzählungen flüsterten von den Bestien der Nacht, die Seelen aus ihren Gräbern in die Unterwelt unter den schwarzen Fluten von Mar-Ghul zerrten. Es sei denn, einer der Götter schritt ein, entriss die Seele den Klauen der Monster und trug sie in die himmlische Stadt auf dem Gipfel des Olyndar, dem Berg der Götter.
Aber ich glaubte nicht daran.
Die Götter hatten sich, soweit die Geschichte zurückreicht, als eitel, launisch und oft grausam erwiesen. Wenn sie sterbliche Seelen überhaupt wahrnahmen, dann nur, um mit ihnen ihren Spott zu treiben. Und die Bestien der Nacht? Falls sie wirklich Seelen direkt aus Leichen saugen konnten, warum streiften sie dann nachts auf der Suche nach neuen Opfern umher? Warum hetzten sie wie hungrige Hunde am Rand des Feuerscheins, wenn die Toten so leichte Beute waren?
Nein. Tot war tot. Und was danach kam, war das lange, stille Nichts.
Ich hatte ein gutes Leben geführt. Kurz vielleicht. Zu kurz. Aber anständig. Ich hatte ehrenvoll gekämpft. Ich hatte meine Frau geliebt. Ich hatte meine Kinder so gut ich konnte großgezogen. Wenn ich heute sterben würde, würde ich den Tod eines Soldaten sterben. Den Tod eines Helden, würde man sagen. Und als Held zu sterben, mit dem Schwert in der Hand, war die Art von Ende, auf die die meisten von uns hofften.
Dieser Teil machte mir keine Angst.
Es war die Vorstellung, meine Familie zurückzulassen. Ich hatte Angst um sie. Um das, was aus ihnen werden würde, wenn ich nicht zurückkäme. Oder zumindest – das redete ich mir ein, als ich da saß, Zügel in der Hand, Schweiß in den Augen, das Herz rasend.
Und so warteten wir in einem Meer aus rotem Sand und glühender Stille darauf, dass die Rifaëd ihren Zug machten.
Sie kamen. Drei von ihnen, genau wie wir. Alle auf Kamelen, was bedeutete, dass sie höher saßen und auf uns herabblickten – vielleicht Zufall, vielleicht Teil des Plans. Sie näherten sich in gleichmäßigem Tempo, ohne Eile. Sie hatten alle Zeit der Welt, und das wussten sie.
Hinter mir spürte ich das Gewicht der Augen, die uns vom Zug aus beobachteten. Ich hatte der Gräfin gesagt, dass wir für den Rest der Reise in Sicherheit wären. Aber ich hatte mich geirrt.
Was auch immer das hier war, eines war klar: Die Rifaëd würden nicht zulassen, dass der Gottestöter Burg Dûrhael erreichte. Und angesichts der Größe der Streitmacht, die sie aufgeboten hatten, schienen sie bereit zu sein, alles zu tun, um uns aufzuhalten. Selbst wenn das bedeutete, alle zu verlieren.
Sie hielten nur wenige Schritte von uns entfernt an. Nah genug, um den Hauttalg der Kamele und das sonnenverbrannte Leder zu riechen. Ihre Gesichter waren in Tücher gehüllt, nur ihre Augen waren sichtbar – wie schwarze Steine, die in roten Samt gefasst waren. Jeder von ihnen trug das tiefe Purpur und Schwarz des Hauses Rifaëd. Gewehre lagen quer über ihren Sätteln. Säbel an ihren Seiten. Auch Pistolen. Sie sprachen nicht. Sie beobachteten nur. Also sprach ich zuerst. Und ich machte mir nicht die Mühe, höflich zu sein.
»Wir haben zweihundert eurer Männer getötet. Nachts. Nach einem Überraschungsangriff. Dieses Mal sind wir bereit. Eine ganze Kompanie. Ein geladenes Maschinengewehr. Und die Sonne scheint. Wie viele seid ihr bereit zu verlieren?«
Ich nahm an, dass der Mann in der Mitte ihr Anführer war. Und ich hatte recht. Er musterte mich von oben bis unten. Unter seinem Kopftuch konnte ich dichte, graue Augenbrauen erkennen, wild und schwer wie Gewitterwolken.
»Zerstöre den Gottestöter«, sagte er. »Und niemand muss sterben.«
»Das kann ich nicht tun«, sagte ich. »Das Imperium wird es nicht zulassen.«
»Dann wird Blut fließen.«
Und das war’s. Er war fertig mit dem Reden. Ich erkannte es an der Neigung seines Kopfes, an der Art, wie seine Hand die Zügel anzog. Aber ich konnte es nicht dabei belassen. Noch nicht.
Ich hob meine Rechte. »Wartet.«
Was konnte ich sagen, das einen Mann wie ihn erreichen würde? Drohungen funktionierten nicht. Es war ihm egal, wie viele sterben würden. So etwas interessierte Fanatikern nie. Dann erinnerte ich mich an den sterbenden Rifaëd, den ich nach dem letzten Angriff in meinen Armen gehalten hatte. Er hatte nicht um sein Leben gefleht. Er hatte mich gewarnt, dass der Gottestöter uns alle vernichten würde. Ich hatte es mir nicht eingebildet. Da war ich mir sicher.
Also fragte ich: »Warum glaubt ihr, dass der Gottestöter uns alle vernichten wird?«
Das erregte ihre Aufmerksamkeit. Die drei Reiter tauschten einen Blick aus und schauten dann wieder zu mir.
»Es hat keine Seele«, sagte der Anführer. »Es wurde geschaffen, um besessen zu werden. Ein Krieg steht bevor. Die Götter werden sich erheben. Und wenn sie das tun, wird das, was diese Maschine ergreift … keine wohlwollende Macht sein.«
Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich bemühte mich, meine Stimme ruhig zu halten. »Die meisten Festungsstädte haben einen Gottestöter. Was ist an dieser hier anders?«
Der Mann zuckte lässig, fast schon gelangweilt mit den Schultern. »Jeder Mann muss sich um das Feuer in seinem eigenen Haus kümmern. Dies ist das Land der Rifaëd. Unser Haus. Wir können nicht verhindern, was überall geschieht, aber wir können schützen, was uns gehört. Zum Wohl von Carnathael muss dieser Gottestöter zerstört werden.«
Ich hatte keinen Zweifel: Der Mann meinte jedes Wort, das er sagte. Und das ließ mich zögern.
Nein, ich glaubte nicht, dass eine Maschine von bösen Geistern oder gefallenen Göttern besessen werden könnte. Zumindest interpretierte ich seine Warnung so. Aber er glaubte daran. Absolut. Und er glaubte, dass es seine Pflicht war, den Mecha zu zerstören. In seinen Augen war er kein Rebell. Die Rifaëd waren keine Aufständischen – sie waren Wächter, die ihr Heimatland beschützten. Aber ich konnte nicht zulassen, dass sie eine imperiale Kriegsmaschine im Wert von Millionen Dûlarion zerstörten, nur weil ihr Anführer ein religiöses Bauchgefühl hatte.
»Es ist aller Ehren wert«, sagte ich, »dass ihr das Imperium schützen wollt. Aber es ist Wahnsinn zu glauben, dass ihr das tut, wenn ihr das Imperium angreift. Wir werden uns um den Gottestöter kümmern. Und wenn es jemals an der Zeit ist, dass er zerstört werden muss, werden wir das entscheiden. Das ist unser Haus, das wir beschützen müssen. Also geht nach Hause. Lebt euer Leben. Verehrt eure Götter. Aber zwingt euren Glauben nicht uns allen auf. Wenn ihr das tut, werden die Folgen für euer Volk verheerend sein.«
Er schüttelte den Kopf. Ich hätte schwören können, dass er unter seiner Vermummung lächelte. »Hauptmann«, sagte er langsam, seine Stimme ruhig, aber mit einem scharfen und wissenden Unterton, »wir schützen nicht das Imperium. Wir schützen die Menschen. Und wir kennen das Imperium. Es vernichtet das Böse nie, nicht, wenn es ihm nützlich ist. Ihr belügt euch selbst. Aber das Böse ist kein Werkzeug. Am Ende vernichtet es alles. Auch euch.« Er machte eine Pause und fügte dann fast leise hinzu: »Gebt uns den Gottestöter … oder sterbt beim Schutz der Maschine, die euch sowieso vernichten wird.«
In diesen Worten lag ein gewisser Biss. Ein müder Zynismus, der tiefer ging, als mir lieb war. Ich schüttelte den Kopf, unsicher, was meine Begleiter dachten. Glaubten sie ihm irgendetwas davon? Denn trotz allem klang der Mann aufrichtig. Unangenehm aufrichtig.
»Wenn euch die Menschen so wichtig sind«, sagte ich, »warum greift ihr dann diesen Zug an? Er ist voller Zivilisten. Frauen. Kinder. Sie werden diejenigen sein, die leiden, wenn die Kämpfe beginnen.«
»Wir werden ihnen nichts antun«, sagte er ohne zu zögern. »Solange der Gottestöter hier bleibt, können die anderen gehen. Wir wollen kein Blutvergießen. Wir bekämpfen nur diejenigen, die zwischen uns und der Maschine stehen.«
Er war nicht umzustimmen. Sein Geist war verschlossen, zugenagelt von Glauben und Angst. Hier ging es nicht um Politik oder territoriale Ansprüche. Es ging um etwas, das für die Rifaëd heilig war. Sie würden nicht aufgeben. Nicht, bis der Gottestöter zu Asche zerfallen war.
Ich seufzte. Ein tiefer, müder Atemzug. Es fühlte sich an wie das Ende. Die letzte Stunde meines Lebens, die unter der Wüstensonne dahinschwand. Es war seltsam, fast etwas, das Frieden gab. Aber ich hatte auch ein flaues Gefühl im Magen, ein quälendes Unbehagen, das ich nicht erklären konnte. Ein Teil von mir fragte sich sogar flüchtig, ob es einen Gott gab, mit dem ich Frieden schließen sollte, bevor ich starb.
Ich hatte keine Ahnung, woher dieser Gedanke kam.
»Nun gut«, sagte ich. »Dann kämpfen wir. Ich schicke den Zug mit den Zivilisten an Bord nach Burg Dûrhael. Habe ich euer Wort, dass ihr nicht angreifen werdet, bis sie weg sind?«
Er nickte. »Solange der Gottestöter zurückbleibt, warten wir.«
»Gut.«
Ich wendete mein Pferd ohne ein weiteres Wort, blickte die Männer auf den Kamelen nicht mehr an, und ritt zurück zum Zug. Meine Männer folgten mir schweigend und mit grimmigen Gesichtsausdrücken. Eine weitere Schlacht stand bevor. Aber jetzt hatten wir einen Vorteil – sie hatten uns Zeit gegeben. Nicht viel, aber genug. Genug, um uns vorzubereiten. Und schon nahmen die groben Züge eines Plans in meinem Kopf Gestalt an.
Ich befahl meinen Männern, den Gottestöter vom Kastenwagen in den Sand zu bringen.
Sie starrten mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Das Ding war riesig und zu schwer, als dass eine Gruppe von Männern es einfach so bewegen könnte. Ich sagte ihnen, sie sollten es nicht anheben. Sie sollten es einfach durch die Schiebetür hinausstoßen, drücken und schieben. Es fallen lassen. Der Gottestöter würde den Sturz überleben. Er war für Schlimmeres gebaut worden.
Sobald er unten war, sollten sie eine Verteidigungsmauer um ihn herum errichten – etwas Schnelles und Hässliches, etwas, das zumindest den ersten Angriff abwehren würde. Ich wies den Zugführer an, seine Diener zu schicken, um beim Transport der Steine zu helfen, die die Rifaëd auf die Gleise gelegt hatten. Ich sagte ihm auch, dass er die Abfahrt hinauszögern sollte, bis die Mauer fertig war.
Meine Männer benutzten alles, was sie in die Finger bekamen. Die Steine natürlich. Aber auch die eisernen Bettgestelle aus dem Schlafwagen, die Matratzen und die Reitsättel aus den Pferdewaggons. Alles, was eine Kugel aufhalten oder eine Klinge abschwächen konnte.
Sie arbeiteten schnell. Verzweiflung hat die Eigenschaft, Dinge zu beschleunigen.
Am Horizont warteten die Rifaëd. Eine lange, schwarze Linie der Stille und Geduld. Sie hielten Wort. Kein Angriff. Noch nicht. Vielleicht waren sie sich ihres Sieges so sicher, dass es ihnen nichts ausmachte, uns Zeit zu geben, unsere eigenen Gräber zu schaufeln. Nach meiner groben Schätzung müsste jeder von uns mindestens vierzig von ihnen töten, um so etwas wie ein Gleichgewicht herzustellen.
Aber wir hatten das Maschinengewehr.
Wir stellten es in die Mitte, direkt hinter die provisorische Mauer aus Steinen, Stahl, Sätteln und Füllmaterial. Es war nicht perfekt. Aber es gab uns eine Chance zu kämpfen. Wir waren ausgebildet, und nach dem, was wir im letzten Gefecht gesehen hatten, waren die Rifaëd es nicht. Sie waren deutlich in der Überzahl, aber wir waren diszipliniert.
Der Zugführer war ein Mann mit klarem Verstand. Er befahl den Elfen und Zwergen unter den Zugsdienern, Fässer mit Wasser und Kisten mit Lebensmitteln zu uns zu bringen. Sie widersprachen nicht. Sie waren auch beim Gottestöter behilflich – vor allem die Elfen, die doppelt so stark wie die meisten Menschen waren. Nicht, dass Stärke immer darüber entschieden hätte, wer herrschte und wer diente. Es kam auf bessere Waffen, eine straffere Organisation und die Bereitschaft an, beides einzusetzen. In dieser Hinsicht konnte niemand das Imperium übertrumpfen.
Und nun würde das Imperium den Rifaëd zeigen, wie gut vorbereitet es sein konnte.
Ich kam nicht umhin, die Ironie zu erkennen: eine Waffe, die zu Massenvernichtung in der Lage war, wurde gegen Männer verteidigt, die Massenvernichtung verhindern wollten. Aber ich ließ mich nicht davon ablenken. Sie standen auf der falschen Seite des Imperiums. Wir waren auf der richtigen Seite. Das war die Grenze. Das war, was zählte.
Schließlich war der Zug abfahrbereit. Der Zugführer versprach mir, dem Lokführer zu sagen, dass er mit voller Kraft nach Burg Dûrhael fahren solle, auch wenn die Lokomotive dann bei Ankunft durchgebrannt wäre. Er schwor auch, meinem Vater, General Weros Eido, sofort nach ihrer Ankunft Bescheid zu geben.
Wenn alles gut lief, konnten wir in vier oder fünf Tagen mit Verstärkung rechnen. Wir hatten Essen und Wasser für sechs. Wahrscheinlich mehr, wenn man bedenkt, wie viele von uns vor Ende der Woche sterben würden. Aber die Rechnung war einfach: fünf Tage lang die Stellung halten. Fünf Nächte lang auch. Denn auch die Nächte waren eine Bedrohung. Dann kamen die Bestien der Nacht.
Wir stellten Gaslaternen entlang unser kruden Ummauerung auf. Jemand fand in der Kombüse sogar eine gusseiserne Schüssel, die wir in eine Feuerstelle verwandelten. Einer der Männer – nicht für den Kampf ausgewählt – wurde beauftragt, die Flammen am Leben zu erhalten. Wir hatten genug Feuerholz für sieben Nächte. Vielleicht sogar mehr, wenn wir es klug einteilten.
Ich verabschiedete mich von Ashmane und wischte mir eine Träne weg – leise, schnell und versteckt. Es hatte keinen Sinn, die Pferde in der Nähe zu halten. Nicht dieses Mal. Nicht bei dem, was kommen würde. Sie wären in dem Blutbad nutzlos. Wir hatten eine Chance. Nur eine. Fünf Tage lang die Stellung halten. Lang genug überleben, damit uns die Verstärkung von Burg Dûrhael erreichen konnte. Irgendwie.
Als der Zug schließlich schnaubend und kreischend in die Hitze und den Staub davonfuhr, betrachtete ich beeindruckt – ja, mit Ehrfurcht –, was meine Männer und die Zugbesatzung in so kurzer Zeit geschafft hatten. Unsere kleine Festung mitten in der Wüste war hässlich, improvisiert und ein bisschen verrückt. Aber es war etwas. Mit den Waffen im Anschlag standen wir hinter der Mauer und waren vorbereitet. Oder so gut vorbereitet, wie wir nur sein konnten.
Die Rifaëd setzten sich in Bewegung und begingen sofort ihren ersten Fehler. Sie versuchten nicht, über die Flanken anzugreifen. Sie versuchten nicht, uns zu umzingeln. Sie kamen direkt auf uns zu; eine einzige Welle rollte vorwärts und wirbelte eine Staubwand hinter sich auf.
Die Reiter auf den riesigen Echsen führten den Angriff an. Die Bestien donnerten durch die Wüste, ihre massiven Füße hämmerten auf den Boden wie Kriegstrommeln. Die Erde bebte unter uns.
»Steht fest!«, rief ich über den aufkommenden Lärm hinweg. »Lasst euch nicht beunruhigen. Haltet die Augen offen. Wir sind imperiale Soldaten. Wir sind besser als sie. Wir werden diesen Sturm überstehen. Wir halten durch, bis Verstärkung eintrifft. Zielt, um zu töten. Verschwendet keine Schüsse. Noch nicht feuern. Noch nicht feuern!«
Die Echsen kamen näher. Ihre langen Hälse schwankten bei jedem massiven Schritt, die Münder offen, die Reißzähne blitzten. Wir konnten fast ihren fauligen Atem riechen.
Und dann –
»Feuer! Schaltet sie aus!«
Das Maschinengewehr eröffnete das Feuer. Sein ohrenbetäubendes Rattern durchschnitt den Staub. Dann schlossen sich die Gewehre an. Kugeln durchbohrten Fleisch. Die Echsen schrien – tiefe, kehlige Brülllaute –, als sie in den Sand krachten und ihre Reiter wie Stoffpuppen durch die Luft flogen. Sie erreichten die Mauer nie.
Wir mähten sie mitten in ihrem Angriff nieder. Fünfzig, vielleicht mehr. In Sekunden war der Boden mit Leichen übersät, die eine zweite, blutige Barriere vor unserer Linie bildeten. Aber das war erst der Anfang. Hinter ihnen rückte die Hauptstreitmacht vor, Tausende von Reitern, die wie ein aufkommender Sturm auf uns zudonnerten.
Diesmal kamen sie über die Flanken. Nicht aus taktischer Brillanz, sondern weil sie keine andere Wahl hatten. Sie konnten nicht durch den Haufen toter Echsen und Reiter an unserer Front stürmen. Die Leichen waren zu einer zufälligen Barrikade geworden.
Und wieder einmal war das zu unserem Vorteil.
Wir schwenkten das Maschinengewehr, um die rechte Flanke zu decken, während der Großteil der Grenzwache die linke stärkte.
Die Kugeln sprachen wieder, und wieder hielten wir sie zurück. Die Rifaëd auf der linken Seite kamen gefährlich nahe. Sie schafften es, drei unserer Männer zu töten. Aber die Linie brach nicht.
Als sich die Rifaëd schließlich zurückzogen und der Rauch verzogen war, flankierten zwei weitere Mauern aus verrenkten, blutenden Leichen unsere Position. Eine Fleischbarrikade. Der Gestank stieg auf. Jetzt waren wir von drei düsteren Wällen aus Toten umgeben. Nur unser Rücken, der dem Ostrand zugewandt war, blieb offen. Unsere provisorische Mauer dort war der Gottestöter selbst, bedeckt mit Sätteln und Matratzen.
Natürlich würden bei Einbruch der Dunkelheit die Bestien der Nacht kommen und diese neuen Wälle aus Fleisch und Knochen verschlingen wie Hunde rohes Fleisch. Aber im Moment waren wir im Vorteil. Wir hatten nicht die Oberhand, aber wir hatten jetzt bessere Karten, als ich zu hoffen gewagt hatte.
Die Rifaëd sammelten sich neu und kamen endlich auf die Idee, klüger vorzugehen. Sie teilten sich in vier Gruppen auf. Diesmal griffen sie aus jeder Richtung an.
Die nächste Welle war die schlimmste.
Sie kamen von allen Seiten. Vier Reihen von Reitern auf Pferden und Kamelen, die auf unsere Verteidigung einschlugen. Ohne die Barrieren aus toten Pferden, Kamelen, Echsen und Menschen wären wir überrannt worden. Diese Haufen – so grausig sie auch waren – retteten uns das Leben.
Das Maschinengewehr deckte unseren Rücken, während der Rest von uns sich auf die anderen drei Flanken verteilte. Es gab nicht genug Gewehre, um sie aufzuhalten. Also benutzten wir Klingen. Wir kämpften mit Bajonetten und Säbeln, manchmal mit bloßen Händen, und stießen sie von den Wänden aus Felsen, Metall und Sattelleder.
Die Schlacht endete erst in der Abenddämmerung.
Was uns am Ende rettete, war weder Strategie noch Stärke. Es waren die Leichen. So viele von ihnen. Sie stapelten sich schneller, als die Rifaëd sich bewegen konnten, überschwämten förmlich den Sand und hemmten den Angriff. Ihre eigenen Toten arbeiteten gegen sie und versperrten ihnen den Weg.
Und das, mehr als alles andere, hielt uns am Leben.
Als die Rifaëd erneut den Rückzug antraten, hielten wir unsere Augen auf den Horizont gerichtet und suchten nach Anzeichen einer Umgruppierung. Wir fragten uns, ob sie erneut zuschlagen oder die Nacht über ruhen würden.
Wir hatten etwa ein Dutzend Männer verloren. Der Rest von uns konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Unsere Brust hob und senkte sich wie ein Blasebalg, unsere Kehlen waren ausgetrocknet. Staub und Blut bedeckten uns und wir waren zu müde, um irgendetwas davon abzuwischen. Wir hatten seit dem Morgen unter der Wüstensonne gekämpft, und die meisten von uns hatten zwischen den Angriffswellen nicht mehr als einen Schluck Wasser bekommen. Wir waren erschöpft, bis auf die Knochen erschöpft.
Wenn sie jetzt wiederkamen, waren wir erledigt. So einfach war das.
Sicher, die Rifaëd waren genauso am Ende wie wir. Aber sie waren in der Überzahl. Sie hatten viel mehr Männer. Und wenn sie uns noch einmal mit einer gewissen Koordination angriffen, würden sie uns wie ein Sandsturm überrollen.
Ich sah mich nach den Überlebenden um. Einige waren auf der Stelle zusammengebrochen, andere lagen bewusstlos im Schatten der Mauer oder standen kurz vor der Ohnmacht. Die übrigen starrten nur mit leeren, weit aufgerissenen Augen vor sich hin und blinzelten langsam, als könnten sie nicht recht glauben, dass sie noch am Leben waren.
Und dann geschah etwas Seltsames. Eine Gruppe von Rifaëd-Reitern löste sich von der Hauptstreitmacht und ritt nach Westen, wo sie in der offenen Wüste verschwand. Zuerst dachte ich, es handele sich um ein Flankenmanöver. Aber sie machten keinen Bogen. Sie … gingen einfach.
Dann folgten weitere. Kleine Gruppen lösten sich ab, drifteten wie Rauch im Wind davon und zogen in verschiedene Richtungen – dorthin zurück, von wo auch immer sie gekommen waren, vermutete ich.
Als die Dämmerung hereinbrach und sich der violette Abenddunst weit über den Sand ausbreitete, war nur noch eine kleine Gruppe übrig. Kamelreiter, dunkle Silhouetten im schwindenden Licht. Wahrscheinlich der Anführer mit seinen Getreuen. Sie saßen eine Weile da in ihren Sätteln. Beobachteten. Und dann, wie der Rest, drehten sie sich um und ritten in die Dunkelheit.
Sie verschwanden. Einfach so.
Hatten sie wirklich … aufgegeben? Ich konnte es nicht glauben. Fanatiker ziehen sich nicht zurück, es sei denn, es steckt mehr dahinter. Vielleicht waren sie am nächsten Morgen wieder zurück. Vielleicht sammelten sie sich neu und planten etwas Schlimmeres. Aber im Moment … hatten wir Luft. Wir hatten Platz. Wir hatten die Möglichkeit, durchzuatmen.
Und das brauchten wir dringend.
Es war pures Glück. Das war es. Pures, dummes, blutgetränktes Glück, dass sie an ihre Grenze gekommen waren, gerade als wir kurz vor dem völligen Zusammenbruch gestanden hatten. Wären sie eine ausgebildete Armee mit disziplinierten Soldaten gewesen, hätten sie den Vorteil ausgenutzt. Sie hätten uns ohne zu zögern vernichtet.
Hätte ich an die Götter geglaubt, hätte ich wahrscheinlich sofort ein Dankesgebet gesprochen. Aber das tat ich nicht. Trotzdem … war ich dankbar. Wir hatten den ersten Tag überstanden.
In dieser Nacht kamen die Bestien der Nacht. Wie erwartet.
Sie hielten Abstand und blieben knapp außerhalb des Rings aus brennenden Gaslaternen und dem lodernden Feuer in der gusseisernen Schale. Das Licht hielt sie zurück.
Wir hatten die Nacht in Schichten aufgeteilt, und da wir alle todmüde waren, schlief jeder, der nicht Wache schob, sofort ein, sobald er die Gelegenheit dazu bekam. Nicht einmal der Gestank der Leichen oder der faulige Geruch und die schrillen, unmenschlichen Schreie der Bestien der Nacht konnten uns wach halten. Wer nicht auf seinem Wachposten war, schlief tief und fest.
Am Morgen waren die Leichenwände verschwunden. Verschleppt in die äußerste Finsternis. Die Bestien der Nacht hatten das Feld leergefegt. Eine weitere Erinnerung daran, dass sie keine seelenaussaugenden Geister oder Mythen waren, die über den Gräbern spukten, wie es die alten Geschichten sagten. Sie wollten Fleisch und Blut. Und wenn sie es nicht von den Lebenden bekommen konnten, nahmen sie es von den Toten.
Und das Schlimmste war: Die Monster hatten uns einen taktischen Bärendienst erwiesen; sie hatten uns unseren Vorteil genommen. Sie hatten das Schlachtfeld für die nächste Welle freigeräumt. Die Rifaëd konnten nun direkt vorrücken. Nichts würde sie mehr aufhalten. Keine Leichen im Weg. Keine Barrikaden aus Gefallenen.
Ich war mir sicher, dass sie zurückkehren würden. Natürlich würden sie das. Sie waren Fanatiker. Sie glaubten, es sei ihre heilige Pflicht, den Gottestöter zu zerstören. Und sie waren zahlreich genug, um es zu schaffen. Sie mussten nur dranbleiben.
Aber sie kamen nicht. Nicht am zweiten Tag. Nicht am dritten Tag. Nicht am vierten Tag.
Stattdessen waren es die Nächte, die uns zermürbten – die langen, angespannten Stunden, in denen wir die Bestien der Nacht in Schach halten mussten. Manchmal mussten wir auf sie schießen, weil sie zu nahe kamen, angelockt vom Verwesungsgeruch unserer Gefallenen. Wir hatten die Leichen in Tücher und Decken gewickelt und ließen sie in der Mitte des Lagers, weg von den Mauern. Wir würden unsere Toten auf keinen Fall den Monstern von Mar-Ghul überlassen.
Und dann, endlich, kurz nach Mittag des fünften Tages, kam der Zug von Burg Dûrhael an. Verstärkung. Fast alle Grenzwachen der Garnison waren an Bord. Hunderte von Soldaten, bewaffnet und bereit, strömten aus den Waggons.
Wir hatten es geschafft. Wir hatten überlebt. Irgendwie hatten wir uns behauptet. Wir hatten die Rifaëd besiegt, ungeachtet ihrer Überzahl. Wir hatten sie zum Rückzug gezwungen und sie trotz ihres Fanatismus sogar in alle Winde zerstreut.
Aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass es noch nicht vorbei war. Sie sammelten sich neu. Sie planten etwas. Überlegten, wie sie den Gottestöter angreifen konnten, ohne dabei ausbluten zu müssen. Das war nicht das Ende. Nur eine Pause. Meiner Schätzung nach hatten sie über fünfhundert Männer verloren. Und anscheinend haben selbst Fanatiker eine Belastungsgrenze. Im Moment hatten sie ihre erreicht.